Neulich war ich bei guten Freunden zu einem Fest eingeladen. Es war ein schöner Sommerabend den wir bei gutem Essen und Wein im Garten genießen konnten. Feste dieser Art waren leider die einzige Möglichkeit sich zu sehen und Neuigkeiten auszutauschen. Denn wie das so ist bei alten Freunden, man lebt sich auseinander und hat nur noch alle paar Monate mal Zeit für ein solches Zusammenkommen. Meist saßen wir bis spät in der Nacht zusammen, tratschten, lachten zusammen und wir erzählten uns mit Vorliebe Geschichten.
Als der Abend schon lange zur Nacht wurde und wir alle satt und zufrieden am Feuer in die Flammen blickten, bat uns Ged, der Freund den ich schon am längsten in dieser Runde kannte, um unsere Aufmerksamkeit.
“Freunde“, sprach er, „ich muss euch eine Geschichte erzählen“.
Er stand auf, trat ins Licht des Feuers, so dass wir ihn alle sehen konnten. Ja und dann erzählte er die seltsamste Geschichte, die mir je untergekommen war.
Als alle gespannt und in Erwartung auf eine schöne Geschichte zu ihm auf sahen, begann er zu erzählen.
„Lasst mich von einem Erlebnis berichten, welches ich erst letzte Woche erleben durfte. Wie ihr alle wisst, ziehe ich mich in meiner freien Zeit gerne zum Angeln zurück.“
Er blickt in die Runde und wies mit seinem Finger nach Westen.
„Dort hinter dem Wald am grünen See sitze ich dann und genieße die Ruhe der Natur. Doch durch das Unwetter, welches erst einige Tage zuvor über uns kam, trieb ein herrenloses Boot an den Platz, den ich mir stets zum Angeln aussuchte. Vom Regen und Sturm war es voller Wasser und schon fast auf Grund gelaufen. Ich hielt es für den Kahn vom alten Müller. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er sein Boot nicht richtig angebunden hätte. Und es war auch nicht das erste Mal das ich es ihm zurück brachte. Mit meinen hohen und wasserdichten Anglerstiefeln brauchte ich das Wasser nicht zu scheuen. Ich watete durchs Seewasser zum Boot, zog es ans Ufer und schöpfte das Wasser. Als ich das getan hatte, wollte ich auf die andere Seite des Sees zum Haus des Müllers rudern. So stieg ich also ins Boot, ergriff eines der Ruder und stieß mich
Ged hielt kurz mit dem Erzählen inne und blickte jedem von uns tief in die Augen bevor er weiter sprach.
„Doch als ich mich anschickte auf den See hinaus zu rudern, meine Freunde, geschah etwas eigenartiges mit mir. Vor Schreck wäre ich fast aus dem Boot gefallen, als ich merkte welche Wandlung ich in nur einem Sekundenbruchteil durchgemacht hatte. Statt ins Wasser zu stürzen sackte ich nur wie ein nasser Sack auf die Ruderbank. Statt meiner Anglerstiefel, zierten feine hochgeschnürrte Damenstiefel meine Füße. Ja und ich trug ein Kleid aus feiner Seide und Rüschen. Aber nicht nur meine Kleidung war anders. Auch ich selbst hatte mich auf drastische Weise verändert. Ich war eine junge Frau mit langem und lockigem blonden Haar. Mein nun zierlicher Körper hatte nichts mehr von der kräftigen Statur des Mannes der ich einmal war. Ihr könnt euch nicht vorstellen wie verwirrt ich war. Getrunken hatte ich an diesem Abend keinen Tropfen, ich war nüchtern wie eine keusche Nonne. Lange saß ich einfach nur fassungslos in dem kleinen Boot. Ich weiß nicht wie lange es dauerte bis ich einen klaren Gedanken fassen konnte. Was sollte ich tun? Ins Wasser springen und ans Ufer schwimmen, in der Hoffnung das ich diesen Alptraum umkehren konnte? Unmöglich mit diesem Kleid und den Stiefeln wäre ich nicht weit gekommen. Außerdem saß ich schon eine ganze Weile in dem Boot und die Strömung hatte mich schon fast zur Mitte des Sees getrieben. Fieberhaft überlegte ich was mit mir geschehen sei und was in Gottes Namen ich unternehmen könnte. Schließlich kam ich zu den Schluss, dass ich wohl halluzinieren musste. Die Pilzpfanne, welche ich im Gasthaus zu mir nahm. Die muss es gewesen sein. Etwas anderes kam gar nicht in Frage. Diese Gedanken beruhigten mich allerdings in keiner Weise. Wer weiß, was noch mit mir geschehen möge, wenn ich wirklich einen von diesen komischen Pilzen erwischt hätte, die einem solch komische Sachen vorgaukeln konnten? Eines war mit jedoch klar. Hier mitten auf dem See würde sich meine Lage nicht verbessern. Besonders da die Sonne schon untergegangen war und ich das Ufer nur noch schwerlich erkennen konnte. Ich musste an Land rudern. Soviel stand schon mal fest.
Das Rudern viel mir schwer. Zum einen da mein schönes Kleid nicht dafür gedacht war Ruderbewegungen zu vollführen und zum Anderen weil mein zierlicher Körper die schwere Arbeit nicht gewohnt war. Immer wieder musste ich eine Pause einlegen und die Arme wurden mir bald schwer. Doch schließlich erreichte ich das Seeufer und eine Stelle an der ich an Land gehen konnte. Völlig erschöpft und der Verzweiflung nahe versuchte ich mich zu orientieren. Ich hatte keine Ahnung wo ich gelandet war. Den See und seine Umgebung kannte ich wie meine Westentasche, selbst bei Neumond hätte ich den Weg zurück gefunden.Nicht jedoch in dieser Nacht. Einem Pfad folgend lief ich am Seeufer entlang, in der Hoffnung endlich vertraute Landschaft zu erreichen. Vergebens. Ich irrte sicherlich stundenlang durch die Nacht. Und bald schon überkam mich Hunger und Müdigkeit. Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, da sah ich in der Ferne ein Licht dem ich folgen konnte. Es führte mich zu einem kleinen Grundstück und einem Landhaus am See. An jedem anderen Tag hätte ich mich gefragt, wieso mir hier aber auch gar nichts bekannt vor kam.
Schließlich kannte ich doch jedes Anwesen an diesem See. In dieser Nacht allerdings hatte ich nicht mehr die Kraft mir solche Fragen zu stellen. Ich konnte nur noch kraftlos zur Haustüre des hübschen Häuschens stolpern und brachte gerade noch genug Energie auf um anzuklopfen. Dem jungen Mann, der mir öffnete fiel ich regelrecht in die Arme. Auf seine Frage „Mein Gott was ist ihnen den zugestoßen“, konnte ich nur noch mit schluchzen und mit einem hemmungslosen Weinkrampf antworten.
Kurze Zeit später saß ich, mit einer warmen Wolldecke umhüllt und einer dampfenden Tasse wohltuendem Tees in meinen zittrigen Fingern, in einem sehr gemütlichem Sessel diesem jungen Mann gegenüber. Er schwieg, stellte mir keine Fragen, sondern wartete bis ich die Fassung wieder gewann. Was eine geraume Weile dauerte, denn ich merkte, dass er in mir nicht einen verwirrten Mann sah, sondern eine Frau, der etwas furchtbares passiert sein musste. War damit meine Theorie von den Halluzinationen noch tragbar? Ich war immer noch zu verwirrt um meine Situation beurteilen zu können. Ja, und ich hatte Angst. Nicht etwa vor meinem Gegenüber, sondern vor mir selbst und meinen Emotionen die mich so sehr durcheinander brachten, dass ich nicht wusste was nun richtig oder falsch ist. Was konnte ich ihm erzählen? Die Wahrheit? Oder irgendeine Geschichte die nicht ganz so abwegig klang? Fast schon entschloss ich mich dazu ihm einfach etwas aufzutischen. Als ich ihm allerdings in die Augen sah, da fühlte ich das ich diesem Mann vertrauen sollte. Und ich erzählte ihn stockend meine Geschichte. Ich erzählte ihm wer ich bis heute Abend noch gewesen war und was mir auf dem See zugestoßen war. Er hörte mir zu, ohne mir ins Wort zu fallen oder mich für verrückt zu erklären. Verstehen konnte er das Gehörte genauso wenig wie ich. Für ihn war nichts männliches an mir. Er sah hier eine Frau, die vielleicht etwas durcheinander, keinesfalls aber irre oder verrückt sei.
Mittlerweile war es schon weit nach Mitternacht und da ich sehr müde und erschöpft war, bot er mir ein Bett in seinem Gästezimmer an. Vielleicht, so meinte er würde sich ja morgen alles klären. Als ich zu Bett ging hoffte ich, dass dies alles nur ein böser Traum sein möge. Das ich Morgen wieder als Ged, der Mann der ich war, am See aufwachen und alles wieder gut sein möge. Am Morgen jedoch erwachte ich als Frau und nichts hatte sich geändert. Auch nicht am Tag darauf, nicht in der nächsten Woche und nicht einen Monat später. Ich blieb was ich geworden war. Eine Frau, die nicht wusste wer sie war und wo sie hin gehörte. Mike, der Mann der mich in jener Nacht aufgenommen hatte, ließ mich bei ihm bleiben. Er war sehr verständnisvoll und geduldig mit mir. Am Anfang war ich verzweifelt und nicht in der Lage irgend etwas zu tun. Nach drei Monaten fragte ich mich, ob ich jemals der Mann gewesen sei, an den ich mich noch erinnern konnte. Möglicherweise hatte ich einen Unfall und mein Erinnerungsvermögen spielte mir Streiche. Wer konnte das wissen? Und langsam, ganz langsam gewöhnte ich mich an mein neues ich. So kam es, wie es kommen musste. Mike und ich verliebten uns und wurden ein Paar, genau ein Jahr nachdem ich ihn kennen gelernt hatte. Mein altes Leben versuchte ich zu vergessen. Ich hatte nun ein Neues in dem ich glücklich werden konnte. Die Jahre vergingen und wir führten eine glückliche Ehe, in der ich zwei Kinder gebar. An meine Vergangenheit dachte ich nicht mehr. Sie erschien mir wie ein Unfall dessen Einzelheiten ich vergessen hatte. Zehn Jahre waren mittlerweile vergangen. Dass es auf den Tag genau zehn Jahre waren, wusste keiner von uns mehr. Für uns war es unser Hochzeitstag, den es zu feiern galt. Mike wollte mich zum Essen ausführen, in die Stadt. So zog ich also mein schönstes Kleid an, sorgte dafür, dass die Kinder im Bett waren und machte mich mit Mike auf den Weg. Während Mike den Wagen holte, wartete ich und sah auf den See. Am Ufer lag ein Boot. Wahrscheinlich vom gestrigen Unwetter angetrieben. Ich dachte mir nichts dabei und schickte mich an, es an unseren Steg anzutäuen. Als ich jedoch ins Boot stieg um die Ruder einzulegen, geschah es. Ich hatte wieder meine Anglerstiefel und fühlte das kratzige Gefühl meines Bartes im Gesicht. An Land sah ich meine Angel liegen, gerade so wie ich sie vor zehn Jahren dort zurückgelassen hatte. Ich war wieder der Mann, welcher ich einst vor so langer Zeit gewesen bin.
Alle die wir am Feuer saßen und seiner Geschichte lauschten, befanden, dies sei die beste und originellste Geschichte, welche Ged je erzählt hatte. Wir applaudierten und dankten ihn für diese Erzählung. Ged dankte uns ebenfalls und sprach. „Ja, es mag für euch sicherlich ein hübsche Geschichte gewesen sein. Doch wisst ihr, irgendwo dort draußen habe ich einen Mann und zwei wundervolle Kinder. Nun, nicht zu wissen wie es ihnen geht, dass macht mich sehr traurig.